Die göttliche LIEBE und das Geheimnis des kleinen Todes

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Interview mit OM C. Parkin
Erschienen in der Ausgabe Yoga Aktuell Spezial 2017/2018 

Goettliche Liebe und das Geheimnis des kleinen Todes

OM, ich möchte dich bitten, über die göttliche Liebe zu sprechen. Wie
kann ein Mensch der göttlichen Liebe gewahr werden?

Es mag 20 Jahre her sein, ich saß in einem Darshan mit Gangaji. Da fragte sie jemand dieselbe Frage, und sie antwortete: „Du kannst mich alles fragen, aber bitte
frage mich nicht über die LIEBE.“

Das heißt, niemand kann über die göttliche Liebe sprechen, nicht einmal ein Meister des Weges?

Nein, über die göttliche LIEBE kann niemand sprechen.

Heißt das, unser Gespräch ist hier zu Ende?

Aber vielleicht können wir aus der göttlichen LIEBE sprechen. Gangajis Antwort deutet an, dass der Mensch sich der göttlichen LIEBE nur durch den Tod desjenigen
gewahr werden kann, der eine Frage über sie hat. Das Gleiche kann ich über denjenigen sagen, der über sie sprechen möchte. Über die LIEBE zu fragen, oder zu sprechen, bedeutet über ihr zu sein. Nicht in ihr. Wer in ihr ist, kann auch aus ihr sprechen. Oder vielleicht sollte ich besser sagen: Dann spricht die LIEBE selbst.

Es ist über zehn Jahre her, da hast du einen Darshan zu diesem Thema gehalten. Ein Zitat ist mir in Erinnerung geblieben, es zog sich durch den gesamten Darshan: „Die wahre Liebe ist der Tod.“

Die göttliche LIEBE verlangt vom Menschen das bewusste Durchschreiten dieses Himmelstores, welches „der Tod“ genannt wird. Vielleicht sollte ich besser sagen: das bewusste Durchfallen. In den inneren Lehren wird er auch der kleine Tod genannt, oder der Tod vor dem Tod. „Stirb, bevor du stirbst“, so lautet die zentrale Anweisung
der Befreiungslehren. Die Erfahrung und die damit einhergehende Transformation des kleinen Todes sind also untrennbar mit der realisierten Gegenwart der göttlichen
LIEBE verknüpft.

Der große liebestrunkene Sufi-Poet Rumi spricht in einem Gedicht über den „Fürst Liebe“, welcher den Menschen den Tod bringt: „Sieht er einen
Joseph, zerreißt er ihn wie ein Wolf; sieht er einen Gläubigen, schlitzt er ihm die Kehle auf.“ Doch die Weisen und erwachten Seelen, „sie enthauptet er ohne ein Schwert und hängt sie ohne Galgen.“ Es scheint, als wolle Rumi den Suchenden zunächst durch sein eigenes Erschrecken hindurchführen, welches ihn immer wieder vor diesem
Tor stehen bleiben lässt. Erst derjenige, der sich nicht hat abschrecken lassen und der ohne Berechnung, ohne Bedingungen ist („Unsere Herzen brachten wir ihm dar,
um Trost zu finden oder, falls den Tod, einen gnädigen Tod“), der erfährt das wahre Wirken des „Fürsten Liebe“ und sein wahres Wesen, denn am Ende heißt es: „So
lass dich von ihm töten: Ist ER nicht des Lebens Wasser?
Lass dich nur nicht verbittern, denn der Freund tötet mit Zärtlichkeit. Wir sind die Nacht, ER ist die Sonne.“

Das ist der wahre Guru, der Fürst LIEBE, der tötet. Guru bedeutet nur „Vertreiber der Dunkelheit“. Er tötet die Dunkelheit. Und diese Dunkelheit, eine Metapher für die Unwissenheit des Ichs – letztlich für das Ich selbst –, kann nur durch den Tod vertrieben werden, nicht durch gelehrtes Verstehen.

Auch Jesus, der Liebende, tritt in der Bibel auf diese Weise auf, von Gläubigen verharmlost, fehlgedeutet oder schlicht ausgeblendet: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ So spricht Jesus im Matthäus-Evangelium (10,34). Dieser „Frieden“, er ist nur für die Gläubigen. Diejenigen, welche an der wahren Liebe interessiert sind, sie nehmen das Schwert. Das Schwert des Todes. Des
Fürsten LIEBE. 

Artikel Göttliche Liebe und das Geheimnis des kleinen Todes Zitat Yoga Aktuell

 

Und was ist mit den vielen Ungläubigen, den Aufgeklärten unserer Zeit?

Die vielen Ungläubigen, die Aufgeklärten der Moderne, die Rationalisten, Intellektuellen und Zweifler, Anhänger naturwissenschaftlichen Denkens, sie sind nur umgekehrte Gläubige. Gläubige, die lediglich die Seite gewechselt haben. Gläubige mit umgekehrten Vorzeichen.
In Wirklichkeit glauben sie an den Verstand. Und wenn sie behaupten, sie glauben an gar nichts, dann schauen sie nicht genau hin. Selbst der Zweifel glaubt schließlich immer noch an sich selbst. Wer sich jedoch der göttlichen LIEBE annähern möchte, der gibt Glauben und Unglauben auf und betreibt innere Wissenschaft aus
dem no-mind. Innere Wissenschaft und die LIEBE schließen sich nicht aus. Im Gegenteil: Innere Wissenschaft ist der Weg der LIEBE.

Ich höre in den Worten des Fürsten LIEBE bei Rumi ebenso wie in dem Jesuszitat auch „den Moment des Zornes“. Welche Rolle spielt dieser heilige Zorn in der Offenbarung der göttlichen LIEBE?

Es ist der heilige Zorn, der den Unterschied macht, den Unterschied zwischen wahrer und falscher Liebe, zwischen Heiligkeit und Scheinheiligkeit. Falsche Liebe, die nicht einmal „menschlich“ genannt werden kann, ist eine Imitation der Liebe, die in Wirklichkeit auf der Ich-Vorstellung des Geliebtwerdens beruht. Und wer geliebt werden will, der kann nicht wirklich lieben. Und wer nicht wirklich lieben kann, der ist unfähig, der göttlichen LIEBE gewahr zu werden. Gemäß dem kosmischen Gesetz der Drei können wir die menschliche Bewusstseinsentwicklung vereinfacht in drei Stufen einteilen – Körper, Seele, Geist –, und Geist wandelt sich in GEIST. Der kleine Geist, der sich noch „Ich“ nennt, wandelt sich in den ALLGEIST, den Großen Geist. Im Englischen gibt es dafür zwei verschiedene Wörter: mind und spirit. Diesen drei Stufen sind Formen der Liebe zugeordnet:

Affenliebe, menschliche Liebe, göttliche LIEBE. Die menschliche Liebe, welche nicht vollständig in der göttlichen LIEBE aufgegangen ist, ist niemals frei von der inneren Spaltung des Liebens und Geliebtwerdens. Es ist diese innere Spaltung der Liebe, die auch die Veräußerlichung des Menschen vorantreibt. Wer geliebt werden will, geht noch keinen inneren Weg. In Bezug auf die Liebe können wir die Aktivitäten des Ichs in einer Dreiheit ausdrücken:

1) Die Angst, geliebt zu werden

2) Der unerfüllte Wunsch, geliebt zu
werden

3) Der Widerwille, geliebt zu werden.

Es bedarf einer ersten inneren Übersetzung, einer inneren Zurücknahme für den Suchenden, um die Realität dieser geistigen Aktivitäten zu erfassen und ihnen wirklich ins Auge zu sehen:

1) Die Angst, zu lieben

2) Der unerfüllte Wunsch, zu lieben

3) Der Widerwille, zu lieben.

Ein Ich, das bereit ist, diese drei Aktivitäten hinzugeben, ist bereit, sich vom Fürst LIEBE den Kopf abschlagen zu lassen. Was dann geschieht, ist die Offenbarung der göttlichen Liebe.

Du beschreibst die menschliche Bewusstseinsentwicklung mit drei Stufen der Liebe. Wie können denn die niederen Stufen dem Gewahrwerden der göttlichen
LIEBE dienen? Oder stehen sie der göttlichen LIEBE grundsätzlich im Wege?

Die asketischen Traditionen berichten tatsächlich zunächst von erheblichen Reibungen, wenn nicht gar Unvereinbarkeiten zwischen den niederen Stufen mit der höchsten,
der göttlichen LIEBE. Im Brief des Paulus an die Korinther spricht er einen Lobgesang auf die Unverheirateten: „So meine ich nun, es sei gut um der kommenden Not willen, es sei gut für den Menschen, ledig zu sein. (…) Die Zeit ist kurz. Fortan sollen auch die, die Frauen haben, sein, als hätten sie keine. (…) Wer ledig ist, der sorgt sich um die Sache des Herrn, wie er dem Herrn gefalle; wer aber verheiratet ist, der sorgt sich um die Dinge der Welt, wie er der Frau gefalle, und so ist er geteilten Herzens.“ (1.Korinther 7, 26–33)

Tatsächlich entfaltet die mystische Lesart dieser Unterweisungen die potenzielle Unvereinbarkeit zwischen der menschlichen Liebe und dem Bekenntnis zur göttlichen LIEBE. Was jedoch nicht an der menschlichen Liebe selbst liegt, sondern vielmehr an der Anhaftung des Ich-Geistes, der in die innere Spaltung des Liebens und Geliebtwerdens fällt, und damit in die Veräußerlichung seiner selbst. Paulus’ Anliegen ist es, die Menschen vor sich selbst zu schützen, vor den innenliegenden
Fallstricken ihres eigenen Geistes, wenn er an anderer Stelle in diesem Zusammenhang ausspricht: „Ich möchte aber, dass ihr ohne Sorge seid.“ Diesem Selbstschutz für jeden inneren Schüler des Weges wird in den inneren Lehren durch die Unterweisungen über den inneren Gegner Rechnung getragen.

Die menschliche Liebe, die irdische Liebe und die göttlich LIEBE schließen also einander nicht aus?

Die menschliche Liebe, die „kleine Liebe“, ist auf natürlich Weise eingebettet in die „Große LIEBE“, die göttliche LIEBE. Und sie entfaltet sich in sie hinein. Sie weitet sich
bis ins Unendliche. Doch es ist der Eingriff des denkenden Geistes und seiner drei „Liebesaktivitäten“ (wie oben beschrieben), die allesamt der Angst vor dem Tod dienen,
der das verhindert. So ist es wahr, dass die Liebe zwischen Mann und Frau ebenso wie die Liebe zwischen Mutter/ Vater und Kind das (dem gewöhnlichen Menschen vollständig verborgene) Leidenspotenzial der Anhaftung in sich tragen und zur Affenliebe regredieren können, was dann zur Folge hat, dass die menschliche Liebe zum eigentlichen Hindernis für die LIEBE selbst wird.

Ramana Maharshi, einer der größten Weisen aller Zeiten, hat sich nach dem Durchleben des kleinen Todes vollständig von seiner Familie zurückgezogen. Als ihn seine
Mutter Jahre später gefunden hatte, unterbrach er sein Schweigegelübde nicht und erwiderte ihr Flehen und Bitten nicht, er möge doch zu ihr zurückkehren. Später wurde
sie dann seine Schülerin und fand selbst den kleinen Tod.
In die göttliche LIEBE kann der Pilger des Weges nur allein einkehren, nicht mit dem geliebten Partner, den geliebten Eltern oder den geliebten Kindern. Sie lässt er
zurück, ohne sie zurückzulassen. Alles, was bleibt, sind Ich und das SELBST. GOTT ist dieses SELBST.

„Wer frei sein will, muss die Heiligkeit des eigenen Wesensgrundes entdecken und sie ausleben. Das Ersehnte kann sich nicht offenbaren, solange man heillos mit anderen Dingen verstrickt ist. Heilig ist, wer sich rettungslos in sein SELBST verliebt.“ Shri Poonjaji (aus dem Buch Der
Gesang des Seins) ♥

Interview mit OM C. Parkin
Erschienen in der Ausgabe Yoga Aktuell Spezial 2017/2018 
*Grafiken in Anlehnung der Yoga Aktuell Spezial Ausgabe Nr. 7
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