Der Tod als Lehrer

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Interview mit OM C. Parkin

Gut Saunstorf, 25.09.12 geführt von Steffen Wöhner und Luna Müller

OM C. Parkin – Weisheitslehrer, Philosoph und Buchautor begegnete dem Tod in Form eines schweren Autounfalls. In diesem Interview berichtet er von dieser Todeserfahrung und seine Einsichten in das Wesen des Todes.

Aus "Die Geburt des Löwen - Dialoge zur Selbsterforschung (advaitaMedia 2018, Erstausgabe beim Lüchow Verlag 1998)":

Am späten Abend des 6. August 1990, kurz nach Mitternacht, stieg ich in Hamburg in meinen Wagen, um zu meinem Wohnort in die Heide zu fahren. Ein ohrenbetäubender Knall — dann riss der Film der Geschehnisse.

Erste visuelle Eindrücke und Empfindungen setzten sich langsam wieder zu einem Bild zusammen. Ein Wahrnehmungsfluss begann: ein Zimmer, ein Bett, ein Körper, Intubationen, Schläuche, ein Krankenhaus. Der Moment des Erwachens war wie die Fortsetzung eines Films. Doch es schien niemanden zu geben, der erwachte, kein Ich. Aus vielen Wahrnehmungsmomenten fügte sich im Bewusstsein langsam wieder ein Körper zusammen, eine »Person« entstand, doch diese »Person« war nicht Ich, sondern lediglich ein Objekt meiner Wahrnehmung. Es war ein Schock, dass Ich ohne jeden Zweifel vollkommen existierte, ohne dass der Körper existierte, ja ohne dass die Welt existierte. Ich war unsterblich. Es war unfassbar.

Durch einen Wink Gottes war mir die Gnade zuteil geworden, die Unterbrechung des Wahrnehmungsstromes erfahren zu dürfen. So hatte die Zeit- und Raumdimension ausgesetzt, ja, der Ur-Dualismus zwischen Erfahrendem und Erfahrenem hatte aufgehört zu existieren. Zwei Tage war ich klinisch tot gewesen.

Aus unerfindlichen Gründen hatte ich, nur wenige Minuten von meinem Zielort entfernt, mit meinem Wagen die Fahrbahn verlassen und war mit ca. 60 Stundenkilometern ungebremst frontal gegen eine hundertjährige Eiche geprallt. Dass der Organismus überhaupt eine Überlebenschance hatte und der Körper schon bald nach dem Moment des Unfalls aus dem Wrack geschweißt und geborgen werden konnte, verdanke ich dem Zusammentreffen verschiedener glücklicher Umstände. Man könnte es auch als ein Wunder bezeichnen.

Meine Existenz als Individuum war erschüttert worden, und ich war unfähig, meine Erfahrungen anderen mitzuteilen. Der gesamte Organismus schien in einer Art Betäubungszustand zu sein, körperlich und emotional.. Ich erlebte eine totale Gleichgültigkeit gegenüber dem, was ich bisher als »das Leben« angenommen hatte. Dieses »Leben«  erschien mir plötzlich als ein Strom leerer, nichtssagender Phänomene, die aus Dem entstehen, was

Ich Bin –ewiges  Bewusstsein.

Ich war gerade aus dem Koma aufgewacht. Ein Freund stand an meinem Bett und fragte, mich was »ich« denn erlebt hätte. Ich musste an all die Berichte von sogenannten Nahtoderlebnissen denken, die ich bei Elisabeth Kühler-Ross gelesen hatte, Berichte von langen, dunklen Tunneln, an deren Ende gleißendes Licht erschien, oder an außerkörperliche Erfahrungen. Schmunzelnd fielen mir auch die Beschreibungen von Leuten ein, die von Entführungen durch Außerirdische berichteten. Was hatte »ich« erlebt? Nichts von alledem. Ich hatte Nichts erlebt. Doch selbst dieser Ausdruck nähert sich der Erfahrung nicht, denn Nichts ist nicht »nichts«. Die Grenzen der Sprache als ein zutiefst dualistisches Instrument schienen erreicht. Es hatte kein »Ich« gegeben, um irgendetwas zu erleben, denn das würde ja bedeuten, dass die Trennung zwischen Subjekt und Objekt der Wahrnehmung existiert hätte. Nachdem die »Wellen« der Wahrnehmung abrupt zur Ruhe gekommen waren, war Ich ein Ozean grenzenlosen Bewusstseins, ohne Form und ohne Eigenschaften. Es war das reine Ich Bin. Auf unbeschreibliche Art und Weise war sich der Ozean seiner selbst bewusst, ohne dass es jemanden oder etwas gab, was sich des Ozeans gewahr war.

Frage: Im Jahr 1990 hattest du einen schweren Autounfall und warst klinisch tot. Dazu sagtest du einmal in einem Interview, dass dies keine Nahtoderfahrung war. Was ist für dich der Unterschied zwischen einer Nahtoderfahrung und dem, was du erlebt hast?

OM: Wie der Name schon sagt, ist eine Nahtoderfahrung eine Nah-toderfahrung, aber keine Todeserfahrung. Eine Todeserfahrung ist strenggenommen gar keine Erfahrung mehr, kein zeitlich begrenztes und definiertes phänomenales Geschehen, sondern ein Filmriss. Ich habe wenige Berichte gelesen, in denen dieser Filmriss beschrieben wurde. Im Advaita-Journal Vol.2 (advaitaMedia) beispielsweise beschreibt der Australier John Wren-Lewis in dem Artikel „Das blendende Dunkel“ einen solchen Filmriss, nachdem ihm auf einer Überlandfahrt mit dem Bus in Thailand von Dieben ein vergifteter Bonbon gereicht worden war. Was bedeutet ein Filmriss? Ein Filmriss bedeutet, dass der Wahrnehmungsstrom endet, während das Gewahrsein des Wahrnehmenden verweilt. Shri Poonjaji aus Lucknow, Indien, der Lehrer meiner Lehrerin, ein radikaler Vertreter der Advaita-Lehre, benutzte häufig folgendes Bild: Das, was wir die Welt nennen, ist ein Film, der auf eine unsichtbare Leinwand projiziert wird. Weil der Mensch in der Welt lebt, sprich im Film lebt, trägt er kein Gewahrsein über die Leinwand in sich. Er ist identifiziert mit den Inhalten des Films, mit der Welt, mit den Inhalten der Welt, mit dem Gesehenen, dem Wahrgenommenen, dem Phänomenalen. Wenn durch einen Akt der Gnade, wie er mir geschehen ist, der Film plötzlich reißt, gibt es keine wie auch immer geartete Erfahrung, weil Erfahrung eine wahrgenommene Welt voraussetzt. Wenn es keine Welt gibt, gibt es auch keine Erfahrung. Es gibt nur das, woraus die Welt hervortritt. Ein Filmriss bedeutet also: Der Wahrnehmungsstrom der Welt reißt und die Sicht auf das Absolute wird frei. Nahtoderfahrungen beschreiben phänomenale Welten, Zwischenwelten des Wahrnehmungsstroms, aber nicht den Tod selbst, vielleicht Erfahrungen vor der Schwelle des Todes. Der bewusste Tod ist die Schwelle zum Absoluten. Das ist es, was in den Lehren der kleine Tod, also der Tod während des physischen Lebens genannt wird.

Frage: Es passieren viele, schwere Unfälle und Schockerlebnisse, wo dieser Filmriss nicht geschieht, meistens sogar. Warum ist es gerade dir passiert?

OM: Ich kann diese Frage nachvollziehen, aber ich muss sagen, dass es keine Antwort auf diese Frage gibt. Warum ist alles so, wie es ist? Es gibt keine letztendliche Antwort auf diese Frage. Ich kann diese Frage nur mit Nichtwissen beantworten, also in Stille.

Frage: Ein bekannter Text von dir trägt den Titel: „Der Riss in der Zeit“. Der Unfall war ein Riss in der Zeit. Heißt das, es gab dann kein Ich mehr, das identifiziert war mit dem Körper, mit Erinnerungen, Vergangenheit oder Zukunft?

OM: Wenn es keine Welt mehr gibt, gibt es auch kein Ich.

Wenn die Ich-Identität wirklich reißt, dann reißt auch die Welt. Als ich wieder zu Bewusstsein und der Körper-Verstand-Mechanismus wieder ins Bewusstsein kam, begann der Film, der gerissen war, wieder zu laufen und sich fortzusetzen, aber das Bewusstsein dessen, worauf der Film projiziert wird, war dadurch nicht ausgeblendet und nicht zu Ende - der Film nahm seinen Lauf und dennoch war alles verändert. Ich ruhte in einer Tiefe des Gewahrseins, die den Menschen, die dann auftauchten aus der alten Welt, nicht zu vermitteln war. Es gab keine Möglichkeit mitzuteilen, was geschehen war.

Frage: Ich möchte eine grundlegende Frage zum Thema Tod stellen. Was ist der Tod in deinem Verständnis?

OM: Zweierlei: Erstens beschreibt der Tod im menschlichen Bewusstsein die bewusste, oder unbewusste Schwelle zum Absoluten, Unvergänglichen, Ewigen und zweitens eine der zwei Urkräfte, aus denen der Kosmos aufgebaut ist.

Frage: Und was ist die zweite Urkraft?

OM: Der Volksmund spricht von der Gegensätzlichkeit von Leben und Tod. Im Grunde ist diese Polarität im taoistischen Yin-Yang-Symbol dargestellt und die Zuordnung der Dunkelheit zum Tod ist selbst im Volksmund bekannt: das dunkle Prinzip, welches das lichte Prinzip verschlingt, in sich aufnimmt und zerstört, um den Wandel einzuleiten. Somit ist das dunkle Prinzip wieder lebensspendend. Aus der Dunkelheit des Mutterbauches wird z.B. menschliches Leben geboren. Dieses dunkle Prinzip, das in verschiedenen Oktaven auftritt, das ist der Tod. Leben ist nicht der vollständige Gegensatz zum Tod, es ist nur ein Teilaspekt der Gegensätzlichkeit. Wenn wir evolutionäre Bewusstseinshierarchien betrachten, die ich auch in meinem letzten Buch „Intelligenz des Erwachens – Die spirituelle Neugeburt des Menschen“ zitiert habe, sehen wir, dass „Leben“ eigentlich der biologischen Ebene dieser Hierarchie zugeordnet ist, während höhere Ebenen gar nicht mehr mit „Leben“ bezeichnet werden. Aber dass der Volksmund den Tod auf diese Weise versteht, zeigt schon, dass er tendenziell Materialist ist, also auf einer körperlichen Ebene in einer Körperwelt lebt. Er versteht den Tod körperlich, als Zerstörer körperlichen Lebens, während ihm die höheren Oktaven des Todes verborgen sind. Diese höheren Oktaven des Todes sind es, die dann auf dem spirituellen Weg wesentlich werden, denn ein körperlicher Tod ist aus Sicht des spirituellen Befreiungsweges des Menschen eine Unwesentlichkeit und ist in keinster Weise eine Befreiung der Seele. Eine Befreiung kann nur in einem bewussten Augenblick während des körperlichen Lebens geschehen und bezieht sich nicht auf einen körperlichen Tod, sondern auf einen geistigen Tod, denn das Ich ist ein geistiges Konstrukt. Das Ich-Konzept, das für jegliche Form von Verblendung und Leiden des Menschen verantwortlich ist, ist ein geistiges Wesen, kein körperliches. Deswegen mag die Beschäftigung mit dem körperlichen Tod in einer Glaubensreligion, in der es darum geht, den Menschen Trost zu spenden und einen Sinn zu geben, einen gewissen Wert haben. In der Mystik spielt die Erfahrung des körperlichen Todes keine wesentliche Rolle.

Frage: Wenn der Körper stirbt, endet damit die Identifikation mit dem Körper und die Seele geht wieder in den Ozean des Seins ein?

OM: Das Konzept einer individuellen Seele ist ein letzter Versuch, Individualität zu beschreiben. Wenn im Hinduismus Seele mit Atman übersetzt wird und das ewige Selbst mit Brahman, dann heißt es im nächsten Atemzug: Atman ist Brahman. D.h. die Vorstellung, dass da die Seele nach dem Tod in verschiedene Welten abdriftet, ist eine mythologische Vorstellung aus bestimmten Schichten des Denkens. In der höheren inneren Wissenschaft, also in der Mystik, gibt es diese Vorstellung nicht. Halten wir uns an das von mir benutzte Bild eines Ursprungs, eines ewigen, stillen Seins und eben dem dynamischen Wandlungsaspekt dieses Seins, das sich ewig wandelnde, vergängliche Leben. Ich habe in meinem Buch darauf hingewiesen, dass in dieser Sicht sogar das Vergängliche ewig ist, weil das Vergängliche, aus einer umfassenden Sicht betrachtet, ja ein ewiger, nie endender Wandlungsprozess ist. Es gibt keinen Anfang des Lebens, und es gibt auch kein Ende des Lebens. Das sind begrenzte Vorstellungen des linearen Denkens, das die Dinge nur als Anfang und Ende verstehen kann. Wenn also ein Körper stirbt, dann ist das einfach eines von Milliarden Wandlungsmomenten, die gleichzeitig geschehen. Es ist dieses individuelle Bewusstsein, also die Vorstellung von einem Menschen, der folgenden Namen hat und dann im Himmel weiter lebt. Das sind einfach kindlich-religiöse Vorstellungen einer Glaubensreligion, und es sind auch Vorstellungen von Menschen, die einfach nicht wahrhaben wollen, dass es kein ewiges individuelles Leben gibt, dass mein Papa nicht ewig lebt, dass meine Mutter nicht ewig existiert, dass das nur vorübergehende Konstrukte sind, die aus einer umfassenden Sicht einfach nur Punkte auf einer riesigen, unendlich großen Bildfläche sind, die kommen und gehen.)

Frage: Der Tod wird ja normalerweise als eine äußere Kraft erlebt, die uns etwas nimmt. Könnte man sagen, dass der Tod eigentlich eine innere Kraft ist, also von innen kommt?

OM: Eben, und woran liegt es, dass der Tod als äußere Kraft erfahren wird? Nicht weil er außen ist, sondern weil der Ich-Geist des Menschen diese Kraft abspaltet, woraufhin sie dann von außen zurückkehrt, um ihn zu bedrohen. Das innerste Wesen des Todes ist eben jenes von mir umschriebene dunkle Prinzip, welches ich auch als die linke Hand Gottes bezeichne. Es wird von dem nach Überleben strebenden Ich primär abgelehnt.

Frage: Dazu möchte ich dich zitieren: „Die Arroganz der westlichen Gesellschaft stammt aus der Unwissenheit und Respektlosigkeit gegenüber dem Tod.“ Kannst du dazu etwas  sagen?

OM: Die Todesverachtung ist in der kollektiven Geisteshaltung der Menschen des Abendlandes weit verbreitet. Es ist so, dass es sich bei dieser Kraft tatsächlich um das weibliche Urprinzip handelt, wobei wir achtsam sein müssen, dass wir hier unter „weiblich“ nichts Menschliches verstehen. Es hat nichts mit der menschlichen Ebene zu tun, also mit der Frau, die in ihrem Wesen auch nicht nur weiblich ist, sondern weiblich und männlich. Wir verstehen auf der abstraktesten Ebene zwei Urprinzipien, männlich und weiblich, und eines dieser Urprinzipien können wir auch mit dem Begriff Tod beschreiben. Ich habe in meinem letzten Buch hergeleitet, welch gestörte Beziehung unsere Kultur durch Jahrtausende alte christliche Missverständnisse zu diesem weiblichen Urprinzip hat.

Frage: Und  die Leugnung des Todes kommt aus diesem gestörten Verhältnis? Kommt daher nicht auch die Angst vor dem Tod?

OM: Insbesondere die Angst vor dem Tod ist eine zwangsläufige Folge eines entfremdeten Verhältnisses zu diesem Urprinzip des Kosmos..

Frage: Wenn du von der Entfremdung sprichst, wie kann man sich denn dann dem Tod annähern und diese Distanz überwinden? Kann man für diese Begegnung oder diese Annäherung etwas tun?

OM: Für einen Menschen des inneren Weges gibt es die bewusste Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit dem dunklen Prinzip. Ich arbeite viel mit dem dunklen Prinzip. Beispielsweise haben wir auf Gut Saunstorf – Ort der Stille Dunkelzimmer, in die man sich zurückziehen und der Begegnung mit der Dunkelheit widmen kann. Im Rahmen des medialen Heilens arbeite ich bewusst nachts mit Menschen, mit dem dunklen Prinzip, dem Thema des Todes und dem Licht des Todes.

Frage: Was meinst du mit „Licht des Todes“?

OM: Es gibt ein Licht, das jenseits der Polarität von Licht und Dunkel leuchtet. Ich habe dieses Licht auch als das transparente Licht bezeichnet, es ist das Licht des Bewusstseins selbst. Wenn wir uns der Dunkelheit annähern mit Angst, uns in sie einbetten und in ihr verweilen, um sie zu erforschen, wenn wir genügend Vertrauen fassen in das dunkle Prinzip und still werden in der Dunkelheit, sind wir bereit für das transparente Licht der Dunkelheit.

Frage: Ist  die wahrhafte Begegnung mit Dunkelheit der „Riss in der Zeit“, von dem du immer wieder sprichst?

OM: Ein möglicher Riss in der Zeit, nicht der Riss in der Zeit. Wir dürfen hier nicht die Ebenen verwechseln, denn ich unterscheide zwischen innerer und äußerer Dunkelheit. Äußere Dunkelheit kann sehr wohl ein Eintrittstor in die Begegnung mit dem dunklen Prinzip sein. Ein Riss in der Zeit geschieht allerdings erst, wenn es einen Riss im Denken des Ichs gibt. Eine einfache Begegnung mit äußerer Dunkelheit und ein Einlassen auf äußere Dunkelheit mag Formen intensiver, innerer Nähe hervorbringen, aber nicht einen Riss in der Zeit, so lange die Maschine des denkenden Geistes weiter rotiert und der Gedankenstrom nicht endet.

Frage: Hat also der Riss in der Zeit eher etwas mit der Ganzheit der Begegnung zu tun - egal ob hell oder dunkel -  dem sich ganz und gar Einlassen auf einen Moment?

OM: Der Riss in der Zeit ist der Fall in den Raum zwischen zwei Gedanken. Ob durch die Sinnesaugen Dunkelheit oder Licht projiziert wird, spielt keine Rolle. Der Riss in der Zeit ist kein Riss, der von der Sinneswelt abhängig ist. Es ist ein Riss in der dichten Wolkendecke, die aus Formen des Denkens (Bilder, Vorstellungen, aufgestiegene und nicht aufgestiegene Gedanken u.a.) das Sein wie einen Schleier, wie eine Membran verhüllt. Zeit ist ein Denkkonstrukt, ein Gedankenkonstrukt. In der Sinneswelt gibt es eigentlich nur Gegenwärtigkeit. Nur ist die Gegenwärtigkeit in der Sinneswelt die Gegenwärtigkeit eines Kindes und nicht die Gegenwärtigkeit von Erleuchtung.

Frage: In deinem oben erwähnten Buch beschreibst du den Tod als Lehrer und Meister. Was kann uns der Tod lehren?

OM: Das Wesen der Vergänglichkeit.

Frage: Wir müssen wahrscheinlich den Respekt gegenüber der Vergänglichkeit lernen.

OM: Vielleicht hast du von mir schon einmal den einfachen Zen-Koan gehört: Was ist der Unterschied zwischen einem Zen-Meister und einem gewöhnlichen Menschen?

Frage: Der Zen-Meister weiß, dass er stirbt.

OM: Richtig.

Frage: Lehrt der Tod dann auch, zwischen dem Vergänglichen und dem Unvergänglichen zu unterscheiden? Er bringt ja überhaupt erst diese Ebene von Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit ins Spiel.

OM: Der Tod lehrt die Sehnsucht nach dem Unvergänglichen, nach dem inneren Frieden in der Ewigkeit des Seins. Er führt dem Menschen das Wesen der Vergänglichkeit vor Augen. Und an dieser Gabelung ist es dann dem freien Willen dieses Menschen überlassen - seiner Ignoranz auf der einen Seite, seiner Sehnsucht nach Wahrheit auf der anderen Seite - ob er die Lehre des Todes nimmt und ihn als Lehrer anerkennt. Oder ob er den Rest seines Lebens als den Tod anklagende, sich beklagende „Witwe“ (oder „Witwer“) verbringt, so wie es vielen Menschen geschieht, die nur die Frage stellen: Warum ich? Warum wird ausgerechnet mir mein Liebstes genommen? Sie sehen gar nicht, dass der Tod als Lehrer auftritt und sie den Wink dieses Lehrers nutzen könnten, um aus diesem Traum des vergänglichen Lebens, welches dem Tod geopfert werden muss, zu erwachen. Alles was sie sehen ist: mir wird das Glück genommen. Sie sehen nicht: mir wird meine Anhaftung und das Leiden genommen. Um aus meinem Buch zu zitieren: „Das, was der gewöhnliche Mensch für Glück hält, ist für den Weisen das Leiden. Und das, was für den Weisen das Leiden ist, ist für den gewöhnlichen Menschen das Glück.“ Der Weise erkennt im Tod den Lehrer, dessen Aufgabe es ist, nicht ewiges Leben zu zerstören, sondern Anhaftung an falsches Leben zu zerstören, Anhaftung an das, was übereinstimmend in allen Weisheitslehren das Leiden genannt wird.

INTERVIEW MIT OM C. PARKIN, Gut Saunstorf, 25.09.12 geführt von Steffen Wöhner und Luna Müller
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