Von der (UN)Möglichkeit der Liebe zwischen Mann und Frau

Stay in Touch

INTERVIEW MIT OM C. PARKIN, 2005

Quelle: erschienen im Februar 2006 auf der Website des Connection-Magazins
Das folgende Interview mit OM C. Parkin führten Sagra Hannich und Steffen Wöhner am 17. November 2005.

 

Eines Deiner Projekte trägt den zwiespältigen Titel: Von der (Un)Möglichkeit der Liebe zwischen Mann und Frau. Können sich ein Mann und eine Frau überhaupt lieben?

OM: Unter normalen Voraussetzungen nicht.

Heißt das, man muss erst erleuchtet sein, bevor Mann und Frau sich lieben können? Oder was sind diese Voraussetzungen?

Die Voraussetzung für die Entfaltung bleibender Liebe zwischen Mann und Frau ist ein innerer Weg. Vom höchsten Standpunkt aus gesprochen ist Erleuchtung die Verwirklichung von Liebe als die Essenz des menschlichen Wesens. Und der innere Weg ist eine Annäherung an die Liebe, wir können uns das mit folgendem Bild vorstellen: Manchmal ist der Himmel frei, dann ziehen wieder Wolken auf, dann wird der Himmel wieder klar und dann bewölkt er sich wieder. Es gibt immer wieder Wolkenlöcher, in denen Liebe verwirklicht ist, aber zunächst als vergängliche Erfahrung und nicht von bleibendem Wert. Im Normalfall gibt es einen wolkigen Himmel mit kurzen Aufheiterungen, während dieser Aufheiterungen ist eine Begegnung zwischen Mann und Frau möglich. Während des inneren Weges nehmen Aufheiterungen zu und die Wolken können immer schneller weggeweht werden oder vorbeiziehen; sie werden nicht mehr zu Dunstglocken.

Du verwendest ja den Mythos von Tristan und Isolde, um diese Liebe zu beschreiben zwischen Mann und Frau.

Nicht um diese Liebe zu beschreiben, sondern um die jahrhundertealten Missverständnisse und Irrtümer zu beschreiben, die dem zugrunde liegen, was Männer und Frauen unserer Gesellschaft heute unter der Liebe verstehen.

Welche Missverständnisse?

Das Missverständnis der romantischen Liebe.

Die romantische Liebe ist eine ganz große dunkle Wolke, eine Gewitterwolke, die mit sehr viel Flüssigkeit geladen ist und sich dann eben entsprechend entlädt.

Und diese Wolke beschreibt jetzt das "normale" Zusammensein zwischen Mann und Frau?

Das Konzept der romantischen Liebe prägt das gesamte westliche Kollektiv. Das sind die Voraussetzungen einer "ganz normalen Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau". Die Wurzeln gehen zurück bis ins Mittelalter, sie wurde zunächst höfische Liebe genannt, weil sie von den Adelshöfen ausging, breitete sich dann aber im ganzen Volk aus. Ein Jüngling suchte sich eine unerreichbare Frau, die er anbetete, nach der er sich verzehrte. Die Idee von der romantischen Liebe geht nicht von der Erfüllung der Liebe auf Erden aus. Im Gegenteil: Sie verehrt die unerfüllte Sehnsucht und führt so zu einer starken Emotionalisierung der Liebe. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, daß nur die unerfüllte, bis zur Unerträglichkeit gesteigerte Sehnsucht den Weg zur göttlichen Liebe im Himmel bahnen kann. Die Ursprünge der romantischen Liebe, die im Laufe der Zeit auf das Menschliche übertragen wurden, sind religiöser Natur. Die romantische Liebe bildet noch heute die allgemeingültige unterbewußte Übereinkunft in der Liebesbegegnung zwischen Mann und Frau.

Sie ist eine Form des Rausches mit entsprechendem Bewusstseinsverlust, dem die Ernüchterung folgt.

Durch welche Phasen geht denn die romantische Liebe zwischen Mann und Frau?

Die erste Phase ist die Idealisierung. Sie wird heute im Allgemeinen als "Verliebtsein" bezeichnet. Das Liebesideal wird auf den Partner projiziert: "Mein König. Meine Königin." Dem Rausch des Verliebtseins folgt zunächst die Ernüchterung. Der Ernüchterung folgt die Enttäuschung. Jetzt wird der König, die Königin wieder vom Thron gestoßen, "entthronisiert" durch die Projektion von negativen Urteilen auf den Partner. Diese Phase ist sozusagen die Umkehrung der ersten Phase des Verliebtseins. Im günstigsten Falle kommt dann, als letzte Phase, ein Arrangement zustande, ein Kompromiss. Oder eben die Trennung.

Das klingt eher traurig. Welche Chance entsteht durch die Beziehung zwischen Mann und Frau dann überhaupt?

Wenn Mann und Frau ineinander verliebt sind, dann stehen sie an einer Weggabelung und 99 von 100 gehen dann den Weg des Todes, den Tristan und Isolde gehen. Damit ist aber nicht der Weg des physischen Todes gemeint, sondern der Weg der Entfernung von der lebendigen Seele. Und vielleicht Einer geht, sieht und erkennt konsequent die Chance des inneren Weges, die Chance, die Herausforderung, die durch die Liebe entfacht wird. Wenn also die Liebe in einem Menschen erweckt wird, dann gibt es, wie immer, zwei Möglichkeiten. Entweder sie führt nach außen und damit weg vom wahren Selbst des Menschen, oder sie führt nach innen, hin zum Selbst. Die reine Tatsache, daß ein Mensch beispielsweise Sehnsucht erlebt, ist keine Hilfestellung, ist an sich nicht von Wert. Die Frage ist: Verfolgt dieser Mensch sie nach innen- zum Selbst, oder verfolgt er sie nach außen- zum Liebesobjekt?

Aber wie kann ich meinen Partner lieben, wenn ich der Sehnsucht ausschließlich nach innen folge?

Im Lichte der romantischen Liebe ist das ein Widerspruch. Weil die Idee der romantischen Liebe mit einer Selbstvergessenheit einhergeht und vergessen wird, dass der geliebte Partner nur eine Spiegelung der Liebe im Innen ist und nicht die Liebe selbst. Die Wahrheit ist: Nur, wenn ich der Sehnsucht nach innen folge, kann ich meinen Partner wirklich lieben.

Die Begegnung zwischen Mann und Frau, das Zusammensein von Mann und Frau, ist zweifellos eine große Möglichkeit für die Verwirklichung des inneren Wesens. Dort wo Liebe ist, ist das Wesen zuhause. Aber die grundlegende Bedingung ist, dass ein Mensch diese Liebe, ihre Erweckung, ihre Entflammung nutzt, um durch das geöffnete, innere Tor der Seele zu schreiten, anstatt der Illusion von einem geliebten Objekt im Außen zu verfallen und sich an diesem Objekt dann ängstlich festzuhalten.

Auf dem äußeren Weg verwechseln die Menschen zwangsläufig das geliebte Objekt mit der Liebe selbst und fallen dann in einen Zustand ängstlichen Haltens und Besitzergreifens eines Objektes, das sie früher oder später ohnehin verlassen wird.

Das bedeutet, ich muss den Partner loslassen..

Ja, loslassen um ihn lieben zu können. Um überhaupt lieben zu können. Die Liebe zwischen Mann und Frau kann sich nur dann von innen entfalten, wenn jeder bereit ist, dem Folgen des inneren Weges die höchste Priorität einzuräumen. Selbst wenn das bedeuten würde, auseinanderzugehen. Dazu sind aber die meisten nicht bereit und solange kann es auch keine wirkliche Liebe zwischen Mann und Frau geben. Liebe kann nur dann verwirklicht sein, wenn es beiden in letzter Instanz gleich-gültig ist, ob sie mit dem Partner zusammen sind oder nicht.

Das klingt paradox und widerspricht dem konventionellen Denken, welches sich bemüht, den Partner zu "halten", also zu kontrollieren. Doch wer der Liebe wirklich vertraut, kann die Erfahrung machen, dass genau das Gegenteil von dem geschieht, was die Befürchtungen sagen.

Nämlich verlassen zu werden..

Ja. Die Liebe liebt sich selbst im Anderen. Sie möchte nicht weg von sich selbst, die Anziehung ist natürlich und bedarf keiner Bemühung, keiner Anhaftung. Stell dir vor, du bist mit einem Partner zusammen und in deinem inneren Verständnis, worum es in diesem Leben geht, in dieser absoluten Klarheit der Essenz, hast du den Punkt des Wissens erreicht, dass es gleichgültig ist, ob du mit ihm zusammen bist oder nicht. Du hast nicht mehr die Vorstellung, er könne Dir etwas geben, was nicht schon in Dir ist. So kannst Du ihn frei und unschuldig lieben. Welche Erleichterung das auch für deinen Partner ist! Eine normale "Beziehung" hingegen bürdet dem Partner Vorstellungen und unerfüllte Wünsche deines Unterbewusstseins auf, eine Last, unter der er schwer zu tragen hat. Denn die Idee einer Beziehung ist die der Vervollständigung: Der Partner muß mir etwas geben, was ich nicht habe. Das sind Bedingungen für eine normale Liebesbeziehung, und diese Bedingungen werden früher oder später zum Scheitern führen. Dieses Scheitern an der romantischen Liebe, welche den Partner als ein äußeres Objekt liebt, ist vorhersehbar, es ist ein Teil des Erkenntnisweges. Der Moment des Scheiterns ist ein großartiger Moment von möglicher tiefer Erkenntnis, wenn er wirklich genommen wird. Die Erkenntnis über das Alleinsein in der Liebe, allein und nicht getrennt. Die Erkenntnis über die Gleichzeitigkeit von Leben und Tod in der Liebe. Wenn dieser Dualismus verwirklicht ist, erscheint die Liebe zwischen Mann und Frau als die Königsblume der Entfaltung der Liebe auf Erden und diese Königsblume ist eine Seltenheit.

Ist es dann so, dass Menschen auf dem inneren Weg besser allein sein sollten als zusammen zu sein mit einem Partner?

Nicht äußerlich allein. Innerlich allein. Ein Mann und eine Frau, die nicht innerlich allein sind, können sich nicht lieben. Einen inneren Weg zu gehen bedeutet, dass die Sehnsucht in ihrem Kern erkannt ist als die Kraft, die in die Verwirklichung göttlicher Liebe strebt. Der Begegnung zwischen Mann und Frau in Liebe kommt die Aufgabe zu, dieser Verwirklichung zu dienen. Die inneren Prioritäten eines Menschen müssen sich radikal verschieben, von einem Weg, der auf Leiden ausgerichtet ist - und die Beziehung zwischen Mann und Frau ist ein Teil des Leidensweges - hin zu einem Weg, der auf Freiheit und auf Liebe ausgerichtet ist. Aus dieser inneren Weltsicht wird die äußere Welt, und darin auch die Begegnung zwischen Mann und Frau, einfach als eine Manifestation dieser inneren Sehnsucht gesehen, und nicht als ein von mir getrenntes Schauspiel, das von dieser tiefsten Sehnsucht wegführt oder gar getrennt ist. Der Weg in die Verwirklichung des göttlichen Wesens zeigt sich auf Erden, in der äußeren Welt, als die Verwirklichung von Liebe des menschlichen Wesens. In der Liebe zwischen Mann und Frau. Darin liegt kein Widerspruch. Allerdings ist es sehr wichtig zu verstehen, dass die Realisation der Liebe zum göttlichen Selbst der Begegnung zwischen Mann und Frau nicht bedarf. Genau genommen ist sie längst geschehen. Im Augenblick der Zeugung eines jeden Menschen.

 

Interview mit OM C. Parkin, erschienen auf www.connection.de, 2005
print to top