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Das wahre Verständnis von Lehrer und Schüler

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Darshan mit OM C. Parkin, Schweibenalp 2006

Du schreibst über mich: „Für mich bist Du, wie jeder von uns, das Göttliche im Kind.“ Nein. Du hast keine Ahnung, wer ich bin. Das solltest du dir erst mal eingestehen. Du hast keine Ahnung. Ich bin nicht das Göttliche im Kind.

Die Frage, wer der Lehrer ist, ist eigentlich erst dann endgültig beantwortet, wenn wir vollkommene Kenntnis dessen haben, wer wir selbst sind. In dem Augenblick beantwortet sich diese Frage ganz von selbst. Bis zu dem Moment gibt es viele Spekulationen, viele Vorstellungen, viele Inthronisierungen und Attentate auf den Thron. Natürlich ist es eine Angelegenheit, die schwer zu fassen, schwer zu begreifen ist und überhaupt für den westlich konditionierten Geist schwer zu nehmen ist. Ich las neulich – um ein typisches Beispiel zu geben – von einem sogenannten Lehrer einen Artikel. Der lebt mit einer kleinen Kommune irgendwo im Süden Deutschlands, und in diesem Artikel hieß es dann, es sei an der Zeit, die Feudalstrukturen aufzugeben. Ich vermute, das war ein Spät-68er. Aber das Mißverständnis und die Reibung ist eigentlich tiefgreifenderer Natur, denn für eine Kultur, die durch die Geistesepoche der Aufklärung gegangen ist und sich eine demokratische Verfassung gegeben hat, um nach dieser zu leben, ist es eigentlich zunächst nicht wirklich vereinbar, daß es etwas geben soll, was eben jenseits von Gleichheit, Brüderlichkeit, Freiheit ist. Das ist ja ein nobles Ansinnen der humanitären Gesellschaft, und diese Gesellschaftsform ist für uns ein großer Schritt und eine große Erleichterung, das ist keine Frage. Und doch ist eben diese Form, diese Sichtweise, die uns äußerlich gegenseitig respektieren läßt, indem wir die Würde des Menschen im anderen anerkennen, nicht die letzte Wahrheit über den Lehrer oder über das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler. Häufig läuft dieses Verhältnis folgendermaßen ab:

In der ersten Phase kommt es zu einer Inthronisierung, und es gibt ein Erkennen, eine Wahrnehmung, die tiefer geht als der Verstand. Da ist etwas, das möglicherweise größer ist als dieser Verstand. Und im Laufe des Gehens des Weges der allgemeinen Desillusionierung – was ja das Wesen des inneren Weges ist – kommt es dann auch zu einer Desillusionierung über den Lehrer. In dieser Phase hört man dann Sätze wie: „Na ja, er ist ja auch nur ein Mensch – wie du und ich.“ Dieser Satz ist nicht vollständig unwahr, leider ist er auch nicht wahr. Nun, das sind ganz natürliche Phasen, durch die der Geist in dieser Beziehung geht bis zu dem Moment, wo er, wie ich es ausdrücke, den paradoxen Weg betritt. Und das bedeutet, daß er im Verhältnis zum Lehrer etwas sehen kann, was gleich ist, absolut gleich und gleichzeitig höher. Das ist eine Widersprüchlichkeit, die ein Rationalist nicht mehr nehmen kann, die nur noch genommen werden kann in einer geöffneten Ratio, in der Widersprüche nebeneinander bestehen können. Daß es das Gleiche ist und gleichzeitig das Höhere, das ist es, was ich anerkenne. Und dann kommt es zu einer ganz natürlichen Angleichung zwischen Lehrer und Schüler, indem der Schüler auf immer tiefere Weise in sich selbst erkennt, daß das, was der Lehrer ist, keine äußere Form ist, keine äußere Struktur, sondern ein formloses inneres Sein meiner eigenen Selbst. Darin kommt es dann zu einer ganz natürlichen, inneren Angleichung, wobei auf eine Art das Paradox zwischen der vollkommenen Gleichheit und der Verschiedenheit bestehen bleibt, so wie es in der äußeren Welt eben ist: jede Form hat ihre Rolle.

Ich wurde gefragt: „Wie kann denn überhaupt ein Schüler, der sich unterwerfen muß, in die Kraft kommen? Wie kann denn überhaupt ein Schüler die vollkommene innere Autorität, die Kraft erlangen, die ihn gleich als gleich erkennen lässt?“

Ist es nicht erstaunlich, daß die Bereitschaft des Ichs, sein Haupt zu beugen – was ja den westlichen Menschen schwerfällt - daß diese Bereitschaft etwas hervorbringen kann, was nichts mit Erniedrigung zu tun hat, was jenseits von Erniedrigung und Erhöhung ist? Der Lehrer und alles im Lehrer mußte selbst das Haupt beugen. Ein Lehrer, der nicht das Haupt vollständig gebeugt hat, ist auch kein Lehrer. Und so ist das Thema eines Lehrers, das Auftreten eines Lehrers bei Großteilen unserer Bevölkerung mit sehr großer Spannung behaftet. Und es ist in der Tat für die meisten Menschen eine große Hürde, überhaupt hier zu sein und sich dieser Situation auszusetzen, in der Vorstellung: ich hier unten und er da oben. Und wer das mit äußeren Augen sieht, der ist verhaftet in dieser Vorstellung.

Schüler sein hat gar nichts mit Unterwerfung zu tun, aber sehr viel mit Demut. Und tatsächlich liegt in der Rolle des Schülers keinerlei Erniedrigung, im Gegenteil. Diese Interpretationen werden dieser Rolle dann vom Ich hinzugefügt und hindern Menschen daran, diese Rolle wirklich einzunehmen, aus der sie niemals herauswachsen müssen, denn tatsächlich gibt es auch in mir den Schüler. Und ein Lehrer ist immer auch Schüler und im Lernen, selbst dann noch, wenn die Meisterschaft erreicht wird - das Lernen kann nicht aufhören. Die Vorstellung, daß das Lernen aufhört, geht nicht einher mit der Lehre, die da sagt: lande niemals. Es gibt keine Landung. Und solange dieser Körper lebt, solange dieser Körper in Erscheinung tritt, findet Lernen statt, und es ist eine Gnade, wenn ein Mensch diese Haltung angenommen hat, denn die meisten Menschen sind nicht Lernende, sondern vielmehr sich Schützende. Und solange sie sich schützen, lernen sie nicht. Wer die Haltung des Lernenden vollständig angenommen hat, der ist in Kontakt mit der Gnade.

Es liegt keine Erniedrigung in der Rolle des Lernenden, warum auch? Wir können dankbar sein dafür, daß wir lernen dürfen und Freude erfahren im Lernen, die wir nicht erfahren, wenn wir die Kraft unseres Geistes einzig dafür verwenden, das Alte zu bewahren und zu schützen. Wir haben naive Rollenvorstellungen über die Schülerschaft, die wir noch aus der weltlichen Schule mit uns tragen, die es schnellstmöglich zu verlassen gilt, um aufzusteigen in etwas Größeres, Wichtigeres und Wesentlicheres. Diese Vorstellung ist einfach begrenzt.

Wenn du alle Interpretationen und Hinzufügungen, die du dieser Rolle gegeben hast, aufgibst, wenn du nur noch im So-Sein dessen, was ist, verweilst, dann entdeckst du, daß die Rolle des Schülers auch nur eine Rolle ist, die durch dich gespielt wird, und das ist nicht das, was du bist. In diesem Leben werden viele Rollen durch dich gespielt und Schüler ist eine davon. Warum sich auf eine Rolle reduzieren? Warum sich überhaupt auf irgendetwas reduzieren? Dieser Weg lehrt nicht, neue Identitäten anzunehmen. Dieser Weg lehrt dich, jede Identität aufzugeben. Und natürlich auch die des Schülers. Aber das Aufgeben der Identität des Schülers ist keine Aufgabe für den Eigenwillen.

Ja, es gibt Schüler, die kommen dann und sagen: So jetzt muß ich aber aus dieser Rolle mal aussteigen. Sie sehen nicht, daß diese Haltung nichts mit der Rolle des Schülers zu tun hat, sondern mit ihren Hinzufügungen, ihren Mißverständnissen, ihren Fehlinterpretationen. Sie haben auch diese Rolle benutzt, um sich selbst zu erniedrigen, und das ist nicht im Wesen der Schülerschaft, im Gegenteil. Die Schülerschaft ist der Weg der Erhöhung – oder wie es in der christlichen Mystik heißt: die Erhöhung der Schlange. Das ist der natürliche Weg der Erhöhung aus dem Tierreich in das Menschsein und aus dem Menschsein ins Göttliche. So gesehen ist jeder Mensch, ob er glaubt, ob er will oder nicht, ohnehin Schüler. Und wenn er sich noch so dagegen verwehrt, er ist es ohnehin. Ob er es wissen will oder nicht, interessiert eigentlich niemanden. Und wenn diese Rolle durch dich ins Leben tritt, dann nutze diese Rolle nicht, um dich erneut zu identifizieren, sondern sei Zeuge, wie diese Rolle durch dich gespielt wird, sei Zeuge eines unpersönlichen Ablaufes. Alles was hier geschieht, ist in Wirklichkeit Teil eines großen Netzwerkes; alle sind Marionetten dieses Netzwerkes. Und in diesem großen Netzwerk gibt es einen spirituellen Kern, der sich in spiritueller Lehre manifestiert, die sich wiederum in ihrem Kern, in ihrer höchsten Form in dem Zusammensein in der Form des Schülers und des Lehrers manifestiert. Wenn du diese Form des Zusammenseins mit inneren Augen betrachtest, dann gibst du jeden Widerstand auf, jede Vorstellung, daß diese Rolle anders sein müßte, als sie ist. Sie ist genau so wie sie ist. Dem muß nichts hinzugefügt werden und nichts weggenommen werden.

Jede Rolle, die durch das Menschsein gespielt wird, ist eigentlich ihrem Wesen nach frei. Ob ein Mensch außen Bettler ist oder König, ob die Rolle des Königs oder des äußeren Bettlers durch Menschen gespielt wird, sagt nichts darüber aus, wie frei sich dieser Mensch innerlich fühlt. Es sind Rollen, die von Gott so vorgesehen sind und es ist nicht ungerechter, als ein Bettler in Indien zu inkarnieren, als als irgendein König oder eine Prinzessin in einem reichen Land. Es ist nicht ungerechter. Jeder Mensch hat die gleiche Chance - nicht im äußeren Leben, aber um das geht es ja auch nicht.

Für Menschen, die das höchste Gut dieses Lebens im äußeren Leben wähnen, diese Menschen glauben natürlich, daß wir an großer Chancenungleichheit leiden. Und wenn wir das äußere Leben betrachten, ist das auch so. Vom Standpunkt des inneren Weges jedoch und von der Möglichkeit der Selbstrealisation und der Befreiung aus dem menschlichen Zustand – von dieser Sicht aus betrachtet, hat jeder Mensch auf Erden genau die gleiche Chance. Und natürlich sind es nicht primär reiche Menschen, die aufwachen. Aber es sind innerlich reiche Menschen, die aufwachen. Ja, wie Papaji sagte, und wie ich eben auch in einem Interview im advaitaJournal darüber gesprochen habe: nur ein Prinz kann erwachen. Und was damit gemeint ist, ist: ein äußerer Bettler kann innerlich ein König sein und aus diesem inneren Reichtum natürlich erwachen.

Äußerlich reiche Menschen, die mit einer Dagobert Duck-Mentalität leben, die sich eigentlich innerlich verarmt und als Bettler fühlen, die haben keine Chance zu erwachen. Es ist eine Frage des inneren Zustandes. Und jeder Mensch hat eine Wahl, egal in welcher äußeren Situation er sich befindet, selbst dann noch, wenn ihm alle äußeren Freiheiten genommen werden, und er in einer Gesellschaft lebt, die totalitär und gewalttätig ist. Ja, es gibt dieses Beispiel von Satyam Nadeen, der im Gefängnis aufgewacht ist. Von innen betrachtet dreht sich alles um – und alles das, was wir geglaubt haben, was uns äußerlich beste Chancen geben würde oder was uns äußerlich alle Chancen nehmen würde, kann von innen betrachtet die Chance unseres Lebens sein.

DARSHAN MIT OM C. PARKIN, SCHWEIBENALP 2006
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